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Finanzpolitik ohne Leitsystem Audio anhören

Die Horrorzahl steht im Raum: Erstmals könnte das Land Bremen 2010 über eine Milliarde Euro neuer Schulden in einem Jahr aufnehmen müssen. Das mochte Finanzsenatorin Karoline Linnert nach der  Senatssitzung am 9. Juni 2009 nicht ausschließen. Finanzpolitik findet derzeit ohne Leitsystem statt: Alle Steuerschätzungen sind bei Lichte betrachtet schon zwischen Berechnung und Druck hinfällig. Und gleichzeitig haben sich die Länder gerade ein Verschuldungsverbot ab 2020 diktiert. Karl-Henry Lahmann kommentiert das Dilemma:

Nordwestradio am 10. Juni 2009

   

Bezahlen und arbeiten lassen

Wenn schon Entlassung, dann bitte so: Mit einer Mitgift von deutlich über 300.000 Euro. Dr. Arnold Knigge hat zwei Fehler begangen. Einen nur allzu menschlichen und einen möglicherweise folgenreichen: Als Aufsichtsratsvorsitzender des Klinikums Bremen-Ost vertraute er dem von ihm selbst vor rund zwei Jahren eingestellten Geschäftsführer. Hinweisen aber, dass der Mann ein übler Finger sein könnte, ging Knigge nicht konzentriert genug nach.

Letzteres war ein krasser Fehler, den eigentlich niemand dem in und von Informations-Netzwerken Der ehemalige Staatsrat Dr. Arnold Knigge vor dem Klinik-Untersuchungsausschuss.     Foto: khllebenden Politik- und Verwal-tungs-Profi Knigge zugetraut hätte. Dafür hat er die Verantwortung übernommen, dafür hat er seinen Rücktritt erklärt. Doch der Senat dieses über jedes Vorstellungsvermögen hinaus in die Pleite gerittenen Landes hielt es für eine kluge Maßnahme, nicht etwa Knigges Bitte zu entsprechen. Statt dessen wird ihm in geschwurbelten Worten gleichzeitig Lob ausgesprochen und das Vertrauen entzogen. Ein kleiner – durchaus üblicher – Liebesdienst unter Freunden, der dem Staatsrat a. D. seine Versorgungsansprüche erhält; jene über 300.000 Euro in fünf Jahren eben.

Das ist nicht nur geschmacklos in einem Gemeinwesen, das finanziell so zugrunde gerichtet ist, dass damit locker drei Länder in die Haushaltsnotlage zu treiben wären, das ist vor allem dumm. Denn Knigge ist genau das, was seine Chefin, Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD), ihm zum Abschied bescheinigt: Ein hoch kompetenter Fachmann seines Metiers, vertraut mit allen Ästeleien dieses unübersichtlichen Mega-Ressorts, dass es schwer werden wird, ihn zu ersetzen. Erst recht für den kümmerlichen Rest dieser Wahlperiode von zehn Monaten. Fehler sind ärgerlich, Fehler sind menschlich – vor allem aber müssen sie ausgebügelt werden. Weshalb das nicht den mit großer Aussicht auf Erfolg erledigen lassen, der von sich selbst behauptet, den Fehler verbockt zu haben? Dieser typisch deutsche Rücktritts-Aktionismus, mit dem sich so mancher Pfuscher eher aus der Verantwortung gestohlen denn selbiger gestellt hat, führt auch mal in die Irre. Bei Knigge ist das der Fall. Der Mann sollte für das Geld arbeiten dürfen.

Nordsee-Zeitung vom 6. Juli 2006

Kein Platz in der Bürgerschaft

Da haben der Pott und der Deckel zueinander gefunden: Willi Lemke wird UN-Sonderbeauftragter für Sport. Ein Amt, wie maßgeschneidert für den scheidenden Innensenator. Jugend, Sport, Friedenspolitik vereinen sich da, da kann er Netzwerke bilden, nach unkonventionellen Lösungen für beliebige Probleme suchen – und sicher ein ums andere Mal finden –, den Motivator geben, für die gute Sache werben, Sponsoren, Unterstützer und Sympathieträger werben.

Lediglich an einer Stelle wird er umlernen müssen, damit der Pott nicht auch mal überkocht: Lemke Willi Lemke.      Foto: khlwird die Wortwahl der Diplomaten erlernen müssen, wenn er etwa vom Start weg im aktuellen Tibet-Konflikt etwas erreichen will. Die Tonlage seiner inzwischen kultigen Scharmützel mit Bayern-Manager Uli Hoeneß hilft auf dem internationalen Parkett nicht weiter. Daneben möchte er sich noch um Afrika kümmern, Fußballplätze in den armen Regionen der Welt bauen lassen, und, und, und ...

Kurz und gut: Es wird Willi Lemke nicht langweilig werden. Nicht in der Startphase seines Amtes, in der er sich in unzählige ihm bis dato völlig fremde Themen einarbeiten muss. Und auch nicht danach, wenn er erst mal so richtig Fahrt aufgenommen hat. Denn dass Lemke sich nicht bisher in jede ihm neu übertragene Aufgabe mit Wucht geworfen hat, hat ihm bislang noch niemand nachgesagt.

Und da will er noch sein Bürgerschaftsmandat behalten. So wolle er seine Verankerung in Bremen sichern, lässt er mitteilen. Mit Verlaub, Herr UN-Sonderbotschafter: Ein Landtagsmandat ist nichts für den persönlichen Wohlfühlfaktor. Ein Landtagsmandat ist der von den Einwohnern dieses Landes übertragene und mit knapp 2500 Euro monatlich versehene Auftrag, sich ohne Wenn und Aber um die Belange des Landes zu kümmern. Und das nicht nur schnell mal zwischen zwei Reisen zu den Brandherden der Welt.

Willi Lemke kann beiden Ämtern die angemessene Wertschätzung nur dadurch erweisen, dass er sich für eines entscheidet und vom anderen die Finger lässt.



Nordsee-Zeitung vom 20. März 2008

 

 

Wahnsinn von hoher Qualität

Kein Wahnsinn, den die Große Koalition nicht noch zu perfektionieren willens und in der Lage wäre. Und sei es um den Preis, eine äußerst dringliche Entscheidung weiter und weiter zu verzögern und hinauszuschieben. Aktuell wird dieses Kunststück am Thema der Nachfolge für den scheidenden Tourismus-Chef Hennig Goes in hoher Qualität vorgeführt.

Eine durchgängig über den Erwartungen und – wichtiger – den Erfordernissen liegende Qualifikation für das Amt des verantwortlichen Tourismus-Entwicklers der Stadt wurde beim Gros aus dem Feld der 37 Bewerber bislang nicht festgestellt. Was aber die Politik nicht daran hindert, eine absurd hohe Zahl zum Bewerbungsgespräch zu laden: Am Dienstag beschloss der Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss der Stadtverordnetenversammlung in einem Akt unnachahmlicher Weisheit, sage und schreibe zwölf Kandidaten einzuladen. Zu der ursprünglich vorgesehenen Gruppe von sieben nominierten die CDU noch drei und Linke und Rechtsaußen Siegfried Tittmann noch je einen Kandidaten nach.

Dieses Dutzend soll dann aber auch gleich einen Crashkurs in Sachen Bremerhavener Verhältnisse absolvieren: Sie sollen nicht vor drei, fünf oder gar zehn Personen „vorsingen“. Das wäre  vielleicht andernorts üblich und im Übrigen bewährt. Nein, hier muss es die Kleinigkeit von 25 Gegenübers sein: Der Aufsichtsrat der Wirtschaftsförderungsgesellschaft BIS und der Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss sollen in Gänze antreten und sich zwölf Vorträge anhören, wie die Bewerber den Bremerhavener Tourismus zu jenen Erfolgen führen wollen, die ihm in den politischen Konzepten verordnet wurden. Der schiere Wahnsinn.

So formuliert es Jörg Murmann nicht. Der für den Fachverband Personalberater im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater zuständige Fachmann nennt das gewählte Verfahren zurückhaltend „nicht zielführend“ und einen „Riesenaufwand“. Auch könne er sich nicht vorstellen, wie ein 25-köpfiges Gremium anschließend zu einer Entscheidung kommen soll – und dabei kennt er die hiesigen Aktivisten noch nicht mal.

Das Ergebnis jedenfalls ist klar: Der ersten Runde wird eine zweite folgen, vielleicht eine dritte, dann kommen noch die Verhandlungen. Und vor Mitte kommenden Jahres ist die Stelle nicht besetzt. Das ist leichtfertig und verantwortungslos.

 

Nordsee-Zeitung vom 5. September 2008

 

 

   

Folge der eigenen Politik

Ist in dieser Welt denn auf gar nichts mehr Verlass? Erst Ursula von der Leyen, jetzt Thomas Röwekamp – und die Union begibt sich auf sozial- und familienpolitische Pfade, von denen vor einem Jahr kaum jemand vermutet hätte, dass die CDU sie überhaupt kennt. Von Interesse ganz zu schweigen.

Etwas überstürzt erscheint es schon, wie die CDU ihre traditionelle programmatische Leitkultur so unvermittelt über den Haufen wirft. Diese „Versozialdemokratisierung“ der CDU glaubwürdig zu vermitteln, wird den Wahlkampfmanagern einiges abverlangen. Eine Marke will erarbeitet sein, ein Image verdient. Und ein radikaler Richtungswechsel – im politischen Geschäft allemal – wirkt schnell als reine Anbiederung bei der „Mission Stimmenfang“. Röwekamp wird sich mächtig abstrampeln müssen, die Aufrichtigkeit zu verdeutlichen.

Dann aber wäre viel gewonnen: Es ist ja nun wahrlich nicht so, dass die Bereiche Jugend, Bildung und Soziales nicht mehr Aufmerksamkeit bräuchten. Dass dort vieles im Argen liegt und die Folgen inzwischen als Kosten bei Polizei, Justiz und Sozialkassen auflaufen, ist auch einer Politik zu danken, die zu lange meinte, alle gesellschaftlichen Probleme lösten sich in Luft auf, wenn nur immer ein ordentlicher wirtschaftspolitischer Kurs gefahren wird.

In gewisser Weise hat die CDU ihre Hinwendung zu den „weichen Themen“ also von langer Hand vorbereitet.


Nordsee-Zeitung vom 27. Februar 2007

 

 

Lethargie hilft niemandem

Bei Licht betrachtet gibt es einzig einen Grund, die Große Koalition fortzusetzen: Realitätsverlust im fortgeschrittenen Stadium. Na ja, vielleicht gäbe es noch einen zweiten: Ignoranz vor dem Wählervotum.

„Wer Rot-Grün will, muss die Grünen wählen, wer die Große Koalition will, muss die CDU wählen.“ Das war die zentrale Botschaft der Union. Und siehe: Die Wähler haben den Rat beherzigt. Denn die Menschen in Bremerhaven und Bremen spüren, dass das Bündnis nach zwölf Jahren ausgelaugt ist.Wer Verwalter des Mangels will, dem wäre die Große Koalition eine gute Besetzung. Wer aber Gestalter sucht, für die neue Wege Chance und Ansporn statt Bedrohung sind, der muss die Grünen verpflichten. Die SPD wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, sich und das Land in weitere vier Jahre großkoalitionäre Lethargie zu stürzen.

Der einzige Reiz daran könnte sein, die CDU mit in den Abgrund zu reißen. Ihre jeweils zweitschlechtesten Ergebnisse haben beide am Sonntag kassiert, es gibt also noch etwas zu tun. Aber da das auch auf Kosten des Landes ginge, verbietet sich dieses Spiel.



Nordsee-Zeitung vom 15. Mai 2007
 

Politischer
Swinger-Club

Zwischenmenschlich sind Affären abseits eingetretener Pfade sicher nicht das Maß aller Moral. Politisch aber ist ein Besuch im Swinger-Club keineswegs anrüchig. So eine kleine Wilderei auf fremden Terrain kann Probleme lösen helfen.

Es wird wohl bunt werden im Land: In Senat und Bürgerschaft Rot-Grün, in Stadtverordneten-versammlung und Magistrat Schwarz-Rot. Oder doch die Ampel? Denn das ist ja der Witz an der Sache: Das Landesbündnis kann in Bremerhaven nicht funktionieren, da SPD und Grüne hier keine Mehrheit haben. Also taugt die Vorentscheidung nicht als Signal für Bremerhaven. Mit der alles andere als reizlosen Folge, dass hier munter in alle möglichen Richtungen geflirtet und vielleicht auch gefummelt werden darf – etwas anderes als auf Landesebene kommt hier in jedem Fall heraus. Moralaposteln in den Bremer Parteizentralen, die auf die Idee verfallen könnten, ihre Partnerwahl zum Vorbild für Bremerhaven stilisieren zu wollen, fehlen so die Argumente.

Das ist gut so. Nur eine in ihrer Wahl freie Kommunalpolitik kann auch eine selbstbewusste sein. Und nur so gestärkt auch eine dem Land gegenüber erfolgreiche.

Herzlich willkommen beim swingen.


Nordsee-Zeitung vom 21. Mai 2007
 

 

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